Wort zum Sonntag
(K)eine Zeit zum Träumen? .. von Angela Boog
In der vergangenen Woche wurde in den Medien nach über die Eröffnung zahlreicher Weihnachtsmärkte zu Beginn der Adventszeit berichtet, verbunden mit vertrauten Bildern liebevoll geschmückter und beleuchteter Buden und Häuser, Glühweinstände und Tannenbäume.
Dazu wurden auch erste Besucher und Besucherinnen nach ihrer Stimmung befragt. Vielfach antworteten die Menschen, wie wohltuend es doch sei, für ein paar Stunden einfach „nur" die Gemeinschaft, Geselligkeit, Essen und Trinken sowie adventliches Treiben zu genießen.
Krieg, Energiekrise, Klimakrise, gestiegene Preise_ die Realitäten des Alltags sollen kurz vergessen werden. Wer hätte am Anfang des Jahres schon damit gerechnet, wie dramatisch sich das Weltgeschehen verändert, spürbar bis in jeden Haushalt hinein?

Ist es angesichts dieser Situation nicht naiv und unverantwortlich, jedes Jahr aufs Neue die nahende Geburt unseres Retters, den Frieden auf Erden zu besingen? Müsste man nicht angesichts der Realität unserer Tage stattdessen allen Menschen zurufen: Hört auf zu träumen? Aber die Bibeltexte an diesem 2. Adventssonntag sagen etwas Anderes.
Der Prophet Jesaja erzählt von seinem Traum einer besseren Welt: „Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein.(...) Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus."
Verfeindete, einander diametral entgegengesetzte Kräfte und Mächte wirken zusammen; Rollenzuschreibungen von Gut und Böse, Tätern und Opfern, Jägern und Beute werden aufgehoben -stattdessen herrscht Friede! „Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen: weil ein Traum wahr geworden ist: Gottes Traum vom Menschen - weil die Menschen dem Bild entsprechen können, das Gott von uns hat, das ER in sich trägt.
Dieser Traum kann wahr wer-den, wenn auch der Mensch GOTT in sich trägt. Von diesem Traum hören wir alle Jahre wieder, jedes Jahr begleiten uns die Worte von Jesaja durch den Advent. Alles nur billiger Trost, Kitsch und Glitzer - alles nur ein Traum? Wie soll dieser Traum jemals Wirklichkeit werden? Es ist das Leben und die Kraft des Menschseins, die dieses Wunder vollbringen kann. Das Leben - Jesaja vergleicht es mit einem kleinen und zarten, aber starken grünen Trieb, der ins Leben, ans Licht drängt.
Diese zarte Kraft widersetzt sich aller Dunkelheit und Kälte. Aktuell sind es mutige Menschen in China und im Iran, die sich der Dunkelheit, Härte und Kälte ihrer mächtigen Regime widersetzen. Ihr Mut ist größer als das lebensfeindliche Macht-streben der Herrschenden.

Dort passiert gerade etwas von dem, was Jesaja für seine Zeit beschrieben hat: Diese Menschen verkünden mit Mund und Lippen Gerechtigkeit und Stärke, den Schlägen der Herrschenden zum Trotz (vgl. Jes 11,40. Und es ist eben kein unerfüllter, unerfüllbarer Traum: Gott hat uns mit Liebe des Herzens, mit Erkenntnis und Weisheit des Geistes ausgestattet (vgl. les 11,2). ER selber ist Mensch geworden in unserer Lebenswirklichkeit, damit Dunkelheit und Tod unser Leben eben nicht überwältigen.
Jedes noch so kleine Licht, jeder noch so zaghafte Aufstand gegen Willkür und Ungerechtigkeit, jede noch so zögerliche Überwindung von Ohnmacht und Hilflosigkeit sind Lebens-zeichen und ein Plädoyer für die Hoffnung auf Frieden auf Er-den. Damals wie heute sind die Worte des „Rufers in der Wüste", Johannes des Täufers, unbequem, ungemütlich - und buchstäblich notwendig.
Er nahm kein Blatt vor den Mund: Unentschlossenheit, faule Ausreden und inhaltsleere Debatten wären ihm auch heute ein Gräuel. Redet euch nicht heraus, verabschiedet euch von „wie immer" und von „weiter so", wenn ihr etwas verändern wollt - vielleicht würde Johannes es heute so oder so ähnlich formulieren. (K)eine Zeit zu Träumen?
Wenn uns billige Träume davon abhalten, unsere Wirklichkeit „wahr" zu nehmen, entfernen wir uns von Gott. Ohne Gottes Traum vom Menschen aber, ohne die Sehnsucht nach Leben, ohne den Traum von Gerechtigkeit, Liebe und Frieden erstarren und verzweifeln wir in lähmender Untätigkeit.
In diesem Sinne: Träumen Sie weiter!